Vor dem höchsten Gericht Österreichs wird mit der
Vernehmung von 90 Zeugen seit diesem Montag geprüft,
ob die
Bundespräsidenten-Stichwahl vom 22. Mai
aufgehoben werden kann. Die FPÖ hat
dies in einer
152 Seiten langen »Anfechtungsschrift« beantragt.
Ihre Vorwürfe
beinhalten unter anderem die Beeinflussung
von Wählern sowie Unregelmäßigkeiten
bei der Auszählung
der Briefwahlstimmen in über 80 Prozent der 113 Wahlbezirke.
Diese Woche hören die Richter vier
Tage lang Zeugen an.
Kommende Woche wird - ebenfalls öffentlich - vor den 14
Richtern
des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) verhandelt. Die ersten Tweets
österreichischer Journalisten zum Auftakt der VfGH-Anhörung
machen Beobachter
völlig fassungslos.
Was sich hier offenbart, ist ein
Abgrund an Desinformation von
Beisitzern, Sorglosigkeit, willkürlicher
Delegierung von Auszählungen
sowie grobe Nachlässigkeit bei der Amtsausübung
von Wahlleitern
und Beisitzern – und das am laufenden Band.
Das wurde gleich bei der Vernehmung
des ersten Zeugen,
einem Wahlbeisitzer aus dem Bezirk Innsbruck-Land, deutlich,
wenn man sich den Ticker beim Kurier anschaut. Der Mann
hatte als
Beisitzer keinen blassen Schimmer, dass am Montag
nach der Stichwahl in seinem
Bezirk ab 9:00 Uhr ausgezählt
wurde. »Nein, das habe ich erst aus den Medien
erfahren«,
sagt er dem Gericht. Hätte er um diese Zeit, wie er es laut
Gesetz
soll, dabei sein können? »Ja«, lautet seine kurze
Auskunft an die Richter. Als
er dann um 16:00 Uhr so wie
er »geladen« war, zur Auszählung kam, war diese
bereits
beendet.
Auf die Frage, wie und wann die
Stimmen ausgezählt worden
seien, antwortete er: »Soweit ich weiß, von den
Mitarbeitern
der Behörde.« Der Beisitzer wurde gefragt, ob er Gelegenheit
gehabt habe, die vielen Handlungen der Stimmzähler, die
ohne seine Anwesenheit
vorgenommen wurden, zu überprüfen.
Antwort: »Das weiß ich nicht. Ich nehme
an, dass das möglich
gewesen wäre, wenn ich gefragt hätte.« Der Mann wusste vor
Gericht nicht einmal, ob andere Beisitzer bei der Auszählung
anwesend waren. Er
wusste auch nicht, ob der Wahlleiter dabei
war. Diesem seien nur die
auszuscheidenden (ungültigen)
Wahlkarten vorgelegt worden.
Ein zweiter Zeuge, der als
Wahlleiter in Innsbruck-Land eingesetzt
war, gab dem Gericht gegenüber zu
erkennen, dass er von der
gesetzlichen Vorschrift wusste, wonach die Beisitzer
für die
Auszählung ab 9:00 Uhr hätten geladen werden müssen.
Es sei jedoch
abzusehen gewesen, »dass kein Beisitzer
erscheint«. Es gebe vielmehr seit 2013
eine »Ermächtigung«,
ohne Beisitzer zu verfahren.
Als er gefragt wurde, warum es diese
Ermächtigung gebe,
antwortete er, eine fristgerechte Durchführung sei bei der
hohen Zahl der Briefwahlkarten mit Beisitzern kaum zu
bewältigen gewesen. Die
Auszählung der 14 000 Karten
sei nicht dokumentiert worden: »Nein, leider
nicht«,
so der Tweet-Ticker im Kurier.
Schon vor der Auszählung, am eigentlichen
Wahltag,
dem Sonntag, seien die Stimmkuverts vorzeitig geöffnet
worden, um
festzustellen, ob die geforderte eidesstattliche
Erklärung den Stimmkarten beilag.
Die dritte Zeugin war für den
Wahlbezirk Innsbruck-Land die
Klubsekretärin der Grünen, die als Beisitzerin
eingeteilt war.
Sie habe wegen beruflicher Tätigkeit am Montag nach der
Stichwahl lediglich Zeit gehabt, zwei Mal kurz bei der
Auszählung vorbei zu
schauen, »jeweils rund fünf Minuten.«
An einen Beschluss, der den
Wahlleiter für die alleinige
Auszählung ermächtigte, konnte sich die Dame vor
Gericht
nicht erinnern. Sie habe ganz auf korrekte Abwicklung vertraut:
»Wenn
ein Jurist am Werk ist, wird das schon stimmen«, so die
Auskunft der Grünen,
die selbst unter den Richtern Gelächter
provozierte.
Trotz fehlender Protokolle und
einiger Ungereimtheiten
sahen die Beisitzer seltsamerweise keine Anzeichen für
irgendwelchen Missbrauch, lautete die Zusammenfassung
der Zeugenaussagen dieses
Bezirks.
Die erste Zeugin im zweiten vom VfGH
überprüften Bezirk,
der Südoststeiermark, fand bei ihrem Eintreffen zur
Auszählung
ebenfalls vorsortierte Wahlkarten vor. Die Briefwahlstimmen
waren
zuvor ausgezählt worden. Diese Zeugin, sie war Beisitzerin
für die FPÖ, gab
sogar an, sie habe auf Druck des Wahlleiters
nicht an der Auszählung teilnehmen
können.
Ihre Anwesenheit, so die Begründung,
wäre unfair gewesen,
weil auch von den anderen Parteien keine Beisitzer kamen.
Laut dem zweiten Zeugen des Bezirks, dem Bezirkshauptmann,
wurde bereits am
Wahltag mit der Auszählung begonnen.
Am Abend sei der Großteil der Wahlkarten
geöffnet und
ausgezählt gewesen. Das Ergebnis habe um Mitternacht
festgestanden.
Falls die Vernehmung der vielen
Zeugen bis Ende dieser
Woche nicht einen dramatisch veränderten Eindruck
ergibt,
dürfte unser Nachbarland um eine Reform seines Wahlrechts,
zumindest
aber deutlich präzisere Bestimmungen für die
Auszählung bei Wahlen nicht
herumkommen. Der Eindruck,
den die ersten Zeugenaussagen in Österreich erweckt
haben,
bestätigt ein Prozedere, das demokratischen Wahlen mit Blick
auf
Stimmenauszählung und transparente Zählverfahren nicht
gerecht wird. Was die 14
VfGH-Richter in der kommenden
Woche entscheiden werden, bleibt trotzdem offen.
▷ Bundespräsidentenwahl 2016: Van der Bellen entdeckt die
Quelle ▷ Kopp-Verlag
▷ Bundespräsidentenwahl 2016: Van der Bellen entdeckt die
Heimatliebe und glaubt an Österreich - JJK
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