9. Oktober 2015

Putin ante portas


von Willy Wimmer

Eigentlich ist der Super-Gipfel in New York bei den 
Vereinten Nationen zu schnell verflogen. Kein Wunder, 
wenn die »willkommenskulturellen Exzesse« jeden 
Abend über die Bildschirme ausgestrahlt werden. 
Da kann es schon mal geschehen, dass sich bestimmte 
Bilder nicht so einprägen, wie sie es verdient hätten.
Denn solche Bilder hat es in New York gegeben und 
sie müssen festgehalten werden. Sie betrafen den 
russischen Präsidenten Putin und sie wurden umso 
deutlicher, je mehr der amerikanische Präsident 
ebenfalls auf den Bildschirmen präsent war. 

Der Unterschied hätte nicht deutlicher ausfallen können und 
selbst bei einer mehr und mehr gelenkten deutschen Presse 
war nicht zu verbergen, wie zerknirscht Präsident Obama 
auftrat. Sein russischer Kollege war das genaue Gegenteil.

Putin scheint es gut bekommen zu sein, dass die G8 gleichsam
in einem Anfall von Selbstisolation den russischen Präsidenten 
vor die Türe gesetzt hatten. Bilder sagen auch in der heutigen 
Medienlandschaft immer noch mehr als tausend Worte.

Putin scheint diese Freizeit von amerikanischer Gängelei  
genutzt zu haben. Er war entspannt und hatte nichts 
dagegen, es weltweit zu vermitteln. 

Russland ist wieder auf der Bühne 

Der Kontrast zum westlichen Verhalten gegenüber Russland nach 
dem westlichen Putsch in der Ukraine hätte nicht deutlicher ausfallen 
können. Vor allem, wenn man die Rolle des russischen Präsidenten 
anlässlich der Ukraine-Konferenz in Paris, wenige Tage nach dem 
Super-Gipfel in New York, in Rechnung stellt.

Die Dinge sind seit dem G7-Treffen in Bayern offenbar neu sortiert 
worden. Die G7/8 waren neben der NATO der sichtbarste Ausdruck
für die Schlepptau-Funktion dieser Runden im amerikanischen 
Interesse als der »einzig verbliebenen Supermacht« und der 
»unverzichtbaren Nation«. Durch den Rauswurf der Russischen 
Föderation hat der Westen diesen widernatürlichen Spuk selbst 
beendet. Die Welt wurde seither sichtbar eine andere.

Der Gegenentwurf für Mord und Totschlag 
nimmt Konturen an: Russland wird die 
Vormacht des Völkerrechts

So traurig es ist, aber es bedurfte schon nicht mehr des mörderischen 
Angriffs amerikanischer Bomber auf ein international geschütztes 
Krankenhaus in der nordafghanischen Stadt Kundus. Es ist hinlänglich 
bekannt und weltpolitische Wirklichkeit seit fast zwei Jahrzehnten,
dass die USA in unserem Umfeld für Mord und Totschlag stehen.
Eine Garantiemacht des globalen Elends eben.

Es war geradezu empörend, den amerikanischen Präsidenten 
über die Untaten von Assad vor den Vereinten Nationen reden 
zu hören. Die von ihm dort angelegten Maßstäbe müsste er als Verantwortlicher für die Drohnenmorde bei sich selbst anlegen. 
Es würde auch nicht schaden, wenn er sich seine Amtsvorgänger vorknöpfen würde, um den Internationalen Strafgerichtshof in 
Den Haag mit Zukunftsaufgaben zu befassen.

Die ständigen Anrufe aus Washington bei der deutschen Bundeskanzlerin 
wegen der Migrationsentwicklung erwecken zudem den Eindruck, dass 
in Berlin die Weisungen aus Washington eher vernommen werden als 
die Sorgen im eigenen Land darüber, dass hier regierungsamtlich ein 
rechtloser Zustand hervorgerufen worden ist.

Dagegen steht seit geraumer Zeit die erklärte 
Politik der Russischen Föderation. 

Man kann es wenden und drehen, wie man will: von der mangelhaften Aufklärung der unter niederländischer Führung durchgeführten 
Untersuchungen wegen der Ermordung von Flugzeugpassagieren 
im Luftraum der Ukraine bis zum Vorgehen der russischen  
Streitkräfte in Syrien.

Man hält sich in Moskau an die Regeln, die zuletzt nach einem 
mörderischen Weltkrieg in Europa und der Welt aufgelegt worden 
waren, um einen erneuten Weltkrieg zu verhindern. Wenn man 
als europäischer Betrachter das dagegenstellt, was aus Washington 
zu vernehmen ist, kann einen schon das Grauen überfallen.

In einem Land, das nur noch auf die schreckliche Potenz seiner 
bewaffneten Kräfte starrt und davon abhängig ist, machen sich 
die republikanischen Präsidentschaftsbewerber daran, uns den 
Dritten Weltkrieg zu avisieren. Wenn man deren Wortwahl in 
Rechnung stellt, muss das einst so stolze und verantwortlich 
handelnde Amerika am Ende sein. Mord und Totschlag heißt 
die aus Washington stammende Perspektive, wenn die Zöglinge 
der Bushs, Cheneys und McCains dran kommen sollten.

Jetzt ist es kein Trost, an demokratische Rivalen denken zu wollen. 
Mit Bill und Madeleine fing es vor 16 Jahren an. Davor stand allerdings 
durch Henry Kissinger der global unternommene Versuch, das Völkerrecht
in seiner akzeptierten Form nicht nur zu beseitigen, sondern durch ein 
neues Völkerrecht im amerikanischen Interesse zu ersetzen.

Der klägliche Rest der ehemals stolzen Völkerrechtsabteilung des deutschen 
Auswärtigen Amtes spricht Bände für 
Deutschland

Wenige Tage nach den Jubiläumsfeiern zur deutschen Einheit ist 
es nicht nur zweckmäßig, an die Rolle des Völkerrechts als den 
zentralen Pfeiler für die Wiederherstellung der Wiedervereinigung 
zu erinnern. Von der Helsinki-Konferenz des Jahres 1975 bis hin 
zur Charta von Paris aus dem November 1990: Es war der 
völkerrechtliche Rahmen, der das alles möglich gemacht hatte. 
Wir konnten auf vieles stolz sein. Dazu zählten aber auch die 
»Kronjuwelen« des deutschen Auswärtigen Amtes: 
die Völkerrechtsabteilung. Zusammen mit berühmten 
österreichischen Völkerrechtlern hat man in Bonn gezeigt, 
was man drauf hatte, und wurde erfolgreich.

Heute weiß vermutlich kaum jemand, dass es diese Abteilung 
noch gibt. Die politische »Fehlanzeige«, die sich da einstellt, 
steht aber synonym für das ganze Land. Hier herrscht inzwischen 
ein fast zarenhaftes Rechtsverständnis. Wie eine biblische Plage 
wird davon derzeit unser Land mittels einer Migrationsbewegung 
getroffen, die dem Grundsatz frönt: keine Grenzen, kein Staat.

Es muss der Zusammenbruch Bayerns ins Haus stehen, um 
staatliches Handeln hervorzurufen, das diesen Begriff überhaupt 
rechtfertigt. Es gab Zeiten, in denen wir auf den »Rechtsstaat« 
stolz gewesen sind. Vermutlich haben wir es alle verschlafen, 
dass unsere Rechtsordnung von »willkommens-kulturellen
Anwandlungen« abgelöst worden ist. Das bringt uns innenpolitisch 
noch um, außenpolitisch wird es uns den staatlichen Verstand rauben.

Wie mit Moskau unter diesen 
Umständen mithalten?

Moskau steht mit seiner Politik auf einer weltpolitischen 
Bühne, die sich wieder nach berechenbaren Entwicklungen
sehnt. Washington steht für die Zerstörung der uns bekannten 
Welt und bedeutet »Elend für alle«. Moskau gibt Hoffnung, 
die wir aus Washington so nicht mehr erwarten können.

Auf diesen neuen Antagonismus in einer sensationellen Ausprägung 
müssen wir uns einrichten, wollen wir nicht unter die Räder geraten. 
Wir müssen innerstaatlich wieder wissen, was ein demokratischer 
Rechtsstaat ist, und uns von dem Wesen persönlicher Notverordnungen 
einer noch im Amt befindlichen Bundeskanzlerin lösen.

Außenpolitisch führt kein Weg daran vorbei, uns wieder 
völkerrechtlich satisfaktionsfähig zu machen und unsere 
Politik neu zu justieren. 

Derzeit regiert bei uns innen- und außenpolitisch das Chaos. 
Damit werden wir der russischen Politik nichts entgegensetzen 
können. Wir waren es in der Vergangenheit, die sich auf unsere 
Rechtskultur etwas zugutehalten konnten. Moskau hat – anders 
als wir – die Zeit nicht verschlafen.
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http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/willy-wimmer/putin-ante-portas.html

Willy Wimmer (geb.1943) war 33 Jahre Abgeordneter der   
CDU im deutschen Bundestag, daneben hatte er verschiedene 
Ämter inne, u.a. als Parlamentarischer Staatssekretär des 
Bundesministers der Verteidigung und als Vizepräsident der 
Parlamentarischen Versammlung der KSZE/OSZE, wo er auf 
höchster staatlicher Ebene Gespräche rund um den Globus 
führte. Währen der völkerrechtswidrigen Kriege in Jugoslawien 
und im Irak erregte er durch pointierte öffentliche Stellungsnahmen 
größere Aufamerksamkeit, beons durch eine Verfassungsklage im 
Streitfall Afghanistan. (Klappentext aus dem sehr empfehlenswerten 
Buch von Wolfgang Effenberger und Willy Wimmer
„Wiederkehr der Hasardeure“, zeitgeist 2014)


Flüchtlingsströme von historischer Dimension – JJK: 


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