16. April 2015

Lizenz zum Töten - Dmitry Orlov


von Dmitry Orlov

Die Geschichte ist immer wieder die Gleiche: aufgrund einer 
Anhäufung von günstigen Umständen wird ein Land mächtig – 
viel mächtiger als der Rest – und nimmt eine Zeit lang die 
führende Position ein. Aber die günstigen Umstände, die 
oft nicht viel mehr ausmachen als ein paar vorteilhafte 
Launen der Geologie, sei es walisische Kohle oder 
westtexanisches Erdöl, gehen mit der Zeit zu Ende. 
In der Zwischenzeit wird die einstige Supermacht 
durch ihre eigene Macht korrumpiert. 

Wenn das Endspiel naht, greifen die noch immer 
für das zusammenbrechende Imperium Zuständigen 
zu allen Arten von verzweifelten Maßnahmen – allen 
außer einer: sie werden sich weigern, die Tatsache in 
Betracht zu ziehen, dass ihre imperiale Supermacht am 
Ende ist, und dass sie ihre Vorgangsweise danach 
ausrichten sollten. 

Das Endspiel naht

George Orwell gab einmal eine exzellente Erklärung für 
dieses Phänomen: wenn das Endspiel naht, wird es zu 
einer Maßnahme der imperialen Selbsterhaltung, eine 
herrschende Klasse für einen speziellen Zweck heranzuzüchten – 
eine, die nicht imstande ist zu begreifen, dass das Endspiel 
naht. Weil, sehen Sie, wenn die eine Ahnung hätten, was los
ist, würden sie ihre Jobs nicht ernst genug nehmen, um das 
Spiel so lange wie möglich am Laufen zu halten.
Der herannahende imperiale Zusammenbruch lässt sich 
erkennen an den immer schlechter werdenden Ergebnissen, 
die das Imperium bei seinen imperialen Anstrengungen erzielt. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Vereinigten Staaten
von Amerika imstande, mit der Hilfe zum Wiederaufbau 
Deutschlands und des Restes von Westeuropa eine respektable 
Leistung zu erbringen. Auch Japan ging es gut unter der Führung 
der Vereinigten Staaten von Amerika, ebenso Südkorea nach dem 
Ende des Kriegs auf der koreanischen Halbinsel. In den Fällen 
Vietnam, Laos und Kambodscha, die alle durch die Vereinigten 
Staaten von Amerika schwere Schäden erlitten haben, waren 
die Ergebnisse signifikant schlechter: Vietnam war eine 
eindeutige Niederlage, Kambodscha machte eine Periode 
des Völkermords durch, während das erstaunlich resiliente 
Laos – das am schwersten bombardierte Land auf dem 
Planeten – sich aus eigener Kraft erholte. 

Der erste Golfkrieg verlief sogar noch schlimmer: weil sie Angst 
davor hatten, in den Irak einzumarschieren, verzichteten die 
Vereinigten Staaten von Amerika gerade noch auf ihre übliche 
Praxis, die Regierung zu stürzen und ein Marionettenregime zu 
installieren und ließen das Land ein Jahrzehnt lang in einer 
Grauzone. Als die Vereinigten Staaten von Amerika dann 
letztendlich einmarschierten, bestand ihr Erfolg darin, dass 
sie – nach der Tötung zahlloser Zivilisten und Zerstörung 
eines großen Teils der Infrastruktur – die verstümmelte 
Leiche eines Landes hinter sich ließen.

Ähnliche Ergebnisse wurden erzielt in anderen Bereichen, 
wo die Vereinigten Staaten von Amerika es für angemessen 
hielten, sich einzumischen: Somalia, Libyen und in jüngster 
Zeit Jemen. Lassen wir Afghanistan beiseite, wo kein einziges 
Weltreich geschafft hat, gewünschte Ergebnisse zu erzielen. 
Der Trend ist also unverkennbar: während das Imperium in 
seiner Blütephase zerstörte, um die Welt nach seinem 
Vorbild aufzubauen, zerstört es angesichts seines nahenden 
Endes einfach nur mehr um der Zerstörung willen und 
hinterlässt Berge von Leichen und rauchende Ruinen. 

Ein weiterer unverkennbarer Trend hat zu tun mit der 
Wirkungskraft der Ausgaben für „Verteidigung“ (die im 
Fall der Vereinigten Staaten von Amerika in „Angriff“ 
umbenannt werden sollte). Ein großzügig ausgestattetes 
Militär kann manchmal zum Erfolg führen, aber auch hier 
hat sich einiges im Lauf der Zeit geändert. Der berühmte 
amerikanische wir-schaffen-das-Geist, der im Zweiten Weltkrieg 
allgemein erkennbar war, als die Vereinigten Staaten von Amerika 
den Rest der Welt mit ihrer industriellen Macht überflügelten, ist 
nicht mehr. Jetzt sind immer mehr die Ausgaben für das Militär 
selbst das Ziel – ganz egal, was damit erreicht wird.

Diesbezügliche Errungenschaften sind etwa das neueste 
F-35 Kampfflugzeug, das nicht fliegen kann; der neuste 
Flugzeugträger, der keine Flugzeuge starten lassen kann, 
ohne sie zu zerstören, wenn sie die Zusatztanks montiert
haben, die sie für Kampfeinsätze benötigen; den technologisch höchstentwickelten AEGIS-Zerstörer, der von einem einzelnen 
unbewaffneten russischen Flugzeug mit der entsprechenden 
elektronischen Ausstattung außer Gefecht gesetzt werden 
kann, und einen weiteren Flugzeugträger, der von ein paar 
routinemäßig patrouilliernden russischen U-Booten aus dem
tiefen Wasser gescheucht und zum Ankern gezwungen werden 
kann.

Aber die Amerikaner mögen ihre Waffen, und sie geben sie 
gerne weiter, um ihre Unterstützung zu zeigen. Aber in den 
überwiegenden Fällen geraten diese Waffen in die falschen 
Hände: diejenigen, die sie einst dem Irak gaben, befinden 
sich jetzt in der Hand von ISIS, diejenigen, die sie den 
ukrainischen Nationalisten gaben, wurden an die syrische 
Regierung verkauft, diejenigen, die sie der jemenitischen 
Regierung geliefert hatten, befinden sich jetzt in den Händen 
der Houthis, die diese vor kurzem gestürzt haben. So ist also 
auch die Wirksamkeit großzügiger militärischer Ausgaben 
dahingeschwunden. 

Was bleibt ist Mord

Irgendwann wird es vielleicht effizienter, wenn sie die 
Banknotenpressen der amerikanischen Notenbank so 
programmieren, dass sie bündelweise Dollars in die 
Richtung des Feindes blasen.
Wenn die Strategie „Zerstören um zu schaffen” nicht 
mehr brauchbar ist, aber in dem blinden Bestreben, 
weiterhin weltweit am Ruder zu bleiben, noch immer 
Teil der politischen Kultur ist, ist alles was bleibt Mord. 

Das wichtigste Mittel der Außenpolitik wird politischer 
Mord: sei es Saddam Hussein oder Muammar Gaddafi 
oder Slobodan Milosevic oder Osama bin Laden, oder 
eine Reihe nicht so wichtiger Ziele, es geht einfach 
darum, sie zu töten.

Während eine favorisierte Technik in dem Abschuss von 
führenden Köpfen von Organisationen besteht, kriegt auch 
die allgemeine Bevölkerung ihren Teil vom Morden ab. 
Wieviele Begräbnisse und Hochzeitsgesellschaften wurden 
schon von Drohnenangriffen ausgelöscht? Ich weiß nicht, 
ob es in den Vereinigten Staaten von Amerika jemand gibt, 
der das weiß, aber ich bin mir sicher, dass diejenigen, deren 
Angehörige getötet worden sind, sich daran erinnern, und sich 
die nächsten paar Jahrhunderte daran erinnern werden. Diese 
Taktik ist im Allgemeinen nicht förderlich bei der Schaffung 
eines anhaltenden Friedens, aber es ist eine gute Taktik für 
die Perpetuierung und Eskalation von Konflikten. Dieses Ziel 
ist jetzt akzeptabel, weil es die Begründung für zunehmende 
Militärausgaben schafft und ermöglicht, noch mehr Chaos zu
stiften.

US-General: "Russen töten"

Vor kurzem trat ein pensionierter General der Vereinigten 
Staaten von Amerika im Fernsehen auf und erklärte, dass 
man einfach damit anfangen müsse, “Russen zu töten,” 
um die Situation in der Ukraine herumzureißen. Die Russen 
hörten sich das an, staunten über seinen Schwachsinn und 
eröffneten gegen ihn ein Strafverfahren. Jetzt wird dieser 
General nicht in der Lage sein, in eine ständig wachsende 
Zahl von Ländern auf der ganzen Welt zu reisen, aus Angst, 
verhaftet und an Russland ausgeliefert zu werden, um dort 
vor Gericht gestellt zu werden.

Das ist weitgehend eine symbolische Geste, aber weniger 
symbolische Nichtgesten präventiver Natur werden sicher 
folgen. Es ist halt nun einmal so, dass Mord illegal ist. 
In den meisten Rechtssystemen ist auch die Anstiftung 
von anderen zum Mord illegal. Die Amerikaner haben sich 
selbst die Lizenz zum Töten erteilt, ohne zu überprüfen,
ob sie damit vielleicht ihre Befugnisse überschreiten. 
Wir sollten daher erwarten, dass mit dem Abbröckeln 
ihrer Macht auch ihre Lizenz zum Töten nicht mehr 
gelten wird und sie sich selbst zurückgestuft finden 
werden von globalen Machthabern zu bloßen Mördern.

Wenn Imperien zusammenbrechen, dann wenden sie sich 
nach innen und unterwerfen ihre eigenen Bevölkerungen der 
selben kranken Behandlung, die sie anderen zugefügt haben. 

In dieser Beziehung ist Amerika nicht exzeptionell: die Anzahl 
der Amerikaner, die von ihrer eigenen Polizei ermordet werden, 
ist überwältigend, wobei denen, die töten, kaum etwas passiert. 
Wenn die Amerikaner wissen wollen, wer wirklich ihr Feind ist, 
brauchen sie nicht weit zu schauen. 

Aber das ist nur der Anfang: der Präzedenzfall für den Einsatz
von US-Truppen auf dem Boden der Vereinigten Staaten von 
Amerika wurde bereits gesetzt. In dem Ausmaß, in dem Recht 
und Ordnung in immer mehr Orten zusammenbrechen, werden 
wir immer mehr US-Soldaten auf den Straßen von Städten in 
den Vereinigten Staaten von Amerika sehen, wo sie Tod und 
Zerstörung verbreiten, wie sie es im Irak oder in Afghanistan 
taten. Die letzte Lizenz zum Töten wird die Lizenz sein, 
uns selbst umzubringen. 
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Originalbeitrag: 
http://cluborlov.blogspot.ru/2015/03/license-to-kill.html 
Deutsche Bearbeitung: 
http://antikrieg.com/aktuell/2015_04_14_lizenz.htm

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